Reality is relative
Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson (*1967) ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler. Er schafft immersive Installationen, die unsere Sinne ansprechen und in denen sich die Grenzen zwischen Betrachter und Werk auflösen. Seine räumlichen Werke laden uns dazu ein, über uns, unsere Wahrnehmung und wichtige Themen unserer Zeit nachzudenken. Im Mittelpunkt der neuen Werke, die der Künstler speziell für das Kunsthaus realisiert hat, steht die Frage des Zusammenlebens zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und anderen Lebewesen auf dieser Erde.
«Meine Sinne sind wie experimentelle Fremdenführer. Sie generieren meine ureigenste Wahrnehmung von Zeit. Zugleich verleihen sie meiner Umgebung Tiefe. Sie sind beständig und kritisch mit der Welt von heute im Austausch – sie empfangen, evaluieren und produzieren meine Realität.»
Olafur Eliasson
Reality is relative
Algae window (2020) ist ein kreisrundes «Fenster», das aus einem Arrangement von Glaskugeln besteht.
Wer näher herantritt und durch die Kugeln schaut, entdeckt kleine, fragmentarische Ausschnitte der Aussenwelt, die aufgrund der optischen Eigenschaften der Linsen auf dem Kopf dargestellt werden. Die Anordnung der Glaskugeln auf der Wand ist von den mikroskopischen Darstellungen der Kieselalge abgeleitet, die grosse Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre binden kann.
Die Muster erinnern an die Lithographien der Kieselalge, die der deutsche Mediziner und Zoologe Ernst Haeckel 1904 in seinem Buch Kunstformen der Natur publizierte. «Der Hauptzweck meiner <Kunstformen der Natur> war ein ästhetischer: ich wollte weiteren Kreisen Zugang zu den wunderbaren Schätzen der Schönheit öffnen, die in den Tiefen des Meeres verborgen oder wegen ihrer geringen Grösse nur durch das Mikroskop erkennbar sind.»
«Ich mache die Konstruktion für die Besucher sichtbar, um ihr Bewusstsein dafür zu schärfen, dass jedes Kunstwerk zunächst eine Option ist – ein Modell.»
Olafur Eliasson
Olafur Eliasson inszeniert in Algae window eine optische Täuschung, die die Welt ganz wörtlich auf den Kopf stellt. Es geht ihm dabei aber nicht um eine optische Spielerei, sondern darum, überlieferte Gewissheiten und festgefügte Denksysteme in Frage zu stellen. Indem er die mikroskopische Darstellung der einzelligen Kieselalge so stark vergrössert, dass der Mensch im Vergleich dazu plötzlich klein wird, bereitet er das Terrain vor für neue Formen der Erkenntnis und ein alternatives Weltbild.